IV Grundrechte

Kommentar:

Auch Grundrechte sind nicht für die Ewigkeit gemacht, sondern in einen historischen und kulturellen Kontext eingebunden. Welche Rechte den Rang kodifizierter Grundrechte haben sollten, hängt daher vom jeweiligen Kontext ab. Einstmals unabdingbar erscheinende Grundrechte können im Lauf der Zeit so sehr zur Selbstverständlichkeit werden, dass sie einer Kodifizierung nicht mehr bedürfen. Andere verlieren im Zuge gesellschaftlichen Bewusstseinswandels an Bedeutung oder Konsensfähigkeit, so dass sie im Grundrechtekatalog einer Verfassung früher oder später anachronistisch wirken. Daneben kann sich aber ein Bedarf an der Kodifizierung von Grundrechten auftun, die erst durch das Aufkommen neuartiger Gefährdungen und durch gesellschaftlichen Bewusstseinswandel herausragende Bedeutung erlangen. Die nachstehend formulierten Grundrechte sollen in diesem Sinne dem veränderten Bedarf an Grundrechten nachkommen. Der vorangestellte Übergangsartikel eröffnet zugleich die Möglichkeit, den zu übernehmenden Grundrechtekatalog der bestehenden Verfassung zeitgemäß zu straffen.

Dass die hier in den Artikeln 2 bis 9 formulierten zusätzlichen Grundrechte Gesetzgebung und Rechtsprechung teilweise grundlegend zum Positiven verändern würden, dürfte auf den ersten Blick erkennbar sein. Darüber hinaus ergeben sich vielerlei weniger offensichtliche Auswirkungen. So wird z.B. durch Artikel 9 und 10 in Verbindung mit Artikel 3 die Ziffer 1 des Grundgesetzartikels 26 (Verbot der Vorbereitung eines Angriffskriegs) präzisiert, ergänzt und erweitert. Das Verbot der Vorbereitung eines Angriffskriegs hat sich als kaum justitiabel erwiesen, weil die Unterscheidung zwischen Angriff und Verteidigung rechtlich, moralisch und auch militärisch schwieriger ist bzw. geworden ist, als die Schöpfer des Grundgesetzes es offenbar unterstellten. Die untenstehenden Artikel 9, 10 und 3 können diese Lücke schließen. Sie könnten insofern auch für das Völkerrecht beispielgebend sein.

Übergangsartikel
Die Grundrechte der Verfassung von … (Bundesrepublik Deutschland) in der Fassung vom….. sind bis auf Weiteres Bestandteil dieser Verfassung.
Vorrangig und zusätzlich gelten die folgenden Grundrechte.

Artikel 1 Menschenwürde
Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Artikel 2 Gleichstellung künftiger Generationen
Die Interessen und Rechte künftiger Generationen stehen den Interessen und Rechten lebender Generationen gleich.

Artikel 3 Interessen von Bürgern anderer Staaten
Die Grundrechte gelten auch für Bürger anderer Staaten. Die Interessen und Rechte lebender und künftiger Bürger anderer Staaten werden bei politischen Entscheidungen gewahrt. Zuwiderhandlungen unterliegen der öffentlichen und zivilen Gerichtsbarkeit im Zuständigkeitsgebiet dieser Verfassung. Sie lösen Schadensersatzansprüche aus.

Artikel 4 Veränderlichkeit des Staates
Die Bürger haben Anspruch darauf, dass – in Anpassung an veränderte Anforderungen und Aufgabenstellungen – der Staat sich selbst verändert und sie selbst den Staat verändern können. Dies gilt für alle Ebenen von Staatlichkeit und alle Staatssparten.

Artikel 5 Kontinuität der Lebensbedingungen
Die Kontinuität vom Staat geformter Lebensbedingungen wird für die betroffenen Bürger gewährleistet. Der Wandel wird mit Augenmaß gestaltet. Durch Reformen staatlicher Regeln ausgelöste Brüche von Lebensbedingungen werden vermieden.

Artikel 6 Verständlichkeit und Transparenz von Politik und Recht
Jeder Bürger hat Anspruch auf Durchschaubarkeit und Verständlichkeit von Politik und Recht. Bürger werden nur zu Wahlen und Abstimmungen über Alternativen aufgerufen, deren Konsequenzen sie verstehen oder aus eigener Kraft verstehen könnten.
Politische und staatliche Akteure legen ihre Interessenlagen gegenüber den Bürgern, Vertragspartner legen sie gegenseitig offen. Parteizugehörigkeiten gelten als Interessenlagen.
Insoweit Verträge nicht für alle Vertragspartner verständlich formuliert sind, sind sie unwirksam.

Artikel 7 Nichteinmischung
Staat und Unternehmen mischen sich in private Lebensumstände von Bürgern, auch denen anderer Staaten, nicht ein und forschen private Lebensumstände nicht aus. Für das Verhältnis von Staat zu Unternehmen und nichtstaatlichen Organisationen gilt Entsprechendes. Ausnahmen sind nur zulässig, um nachweislich drohende Straftaten abzuwenden. Wo staatliche Einmischungen und Ausforschungen unmerklich erfolgen, werden sie den Betroffenen nachträglich in angemessener Frist angezeigt. Sie werden vom Staat nicht ohne Einwilligung der Betroffenen öffentlich gemacht, dürfen von den Betroffenen aber ohne staatliche Einwilligung öffentlich gemacht werden.
Eine Abschöpfung, Speicherung und Weitergabe von privaten bzw. internen Daten über Personen, Unternehmen und nichtstaatliche Organisationen durch staatliche Organe erfolgt ausschließlich im Interesse und mit der anzunehmenden Zustimmung der Betroffenen. Ausnahmen hiervon bedürfen der Zustimmung des Verfassungsrats bzw. des vom Verfassungskongress eingerichteten Datenschutzrats.

Artikel 8 Moralische Gewichtung von Bürgerinteressen
Staatliches Handeln berücksichtigt Mehrheitsinteressen, folgt aber vorrangig moralisch höherwertigen Entscheidungsprinzipien. Es dient vorrangig den Interessen der bedürftigsten bzw. von staatlichem Handeln am stärksten betroffenen Bürger.

Artikel 9 Politische Assoziationsfreiheit
Bürger können frei und unmittelbar darüber entscheiden, wer mit wem in welchen Grenzen gemeinsam einen Staat unterhält. Diese Entscheidung kann – soweit diese gebildet sind – für einzelne Staatssparten getrennt und unterschiedlich getroffen werden. Einschränkungen dieser Freiheit sind zulässig, insoweit sie für die Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen oder für die Gewährleistung anderer Grundrechte unabdingbar sind.

Artikel 10 Strafbarkeit politischen Handelns
Alle Bürger, auch Bürger fremder Staaten, haben einen individuellen Anspruch auf Strafverfolgung von Politikern, deren Handeln sie in ihren Grundrechten verletzt hat. Unabhängig davon ist gesetzgeberisches und administratives Handeln, das vorsätzlich oder grob fahrlässig Grundrechtsverstöße, Menschenrechtsverstöße oder nicht mit Normen dieser Verfassung begründete Verstöße gegen das Völkerrecht, insbesondere Krieg, Bürgerkrieg und Folter und grobe Verletzungen des Grundrechts auf politische Assoziationsfreiheit (Artikel 9) , auslöst, begünstigt oder zu verhindern unterlässt, unter Strafe zu stellen. Dies gilt auch für politische und militärische Maßnahmen, die Bürger fremder Staaten in ihrem Grundrecht auf politische Assoziationsfreiheit verletzen.

Artikel 11 Weitere Grundrechte
Alle Grundrechte von Verfassungen suprastaatlicher Organisationen, an denen … (BRD) bzw. deren Nachfolgeinstitutionen beteiligt sind, gelten implizit auch für diese Verfassung, soweit sie mit den obigen Grundrechten und Grundsätzen und den nachfolgenden Organisationsnormen vereinbar sind.

Artikel 12 Statuswechsel von Grundrechten
Der Verfassungskongress kann nach dem Übergangsartikel und Artikel 11 implizit geltende Grundrechte ohne Bürgerbeteiligung explizit in diese Verfassung aufnehmen und solche Aufnahmen rückgängig machen. 

Eine ausführlicherer Kommentar zu den o.a. Grundrechten ist hier verfügbar: